Rezension und Vorwort

Gutachten von univ. Doz. Mag. Dr. Arno Böhler
Institut Philosophie der Universität Wien

Said Manafi legt in seiner Buch eine umfassende Dokumentation des Gesamtwerks des Filmkünstlers Abbas Kiarostami vor, die nicht nur wissenschaftlich gut recherchiert und präzise aufgearbeitet ist, sondern sich auch durch ihren flüssigen Schreibstil auszeichnet.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht eine Werkanalyse von Kiarostamis Filmen (S. 80-242), die einem klaren Schema folgt:  Der Inhalt der Filme wird in einer kurzen Synopsis nacherzählt, kommentiert und in das Lebenswerk, sowie die historisch-sozialen Bedingungen des Filmschaffenden, eingebetet. Dabei beweist Said Manafi nicht nur einen hohen Grad an Wissen und wissenschaftlicher Kompetenz im Umgang mit den zahlreichen Quellen, aus denen er sein Wissen generiert – und die er selbst oft erstmals sammeln und zugänglich machen musste (S. 8-15). Über die Demonstration der wissenschaftlichen Qualifikation hinaus verfügen seine Analysen auch über die nötige Sensibilität und dokumentarische Erzählkunst, die den Leser/Innen auch einen pathischen Eindruck vom Werk Abbas Kiarostamis vermitteln. Dabei tritt die Interpretation stets vor dem Werk zurück. Eine Haltung der „Intellektuellen Redlichkeit“, von der Nietzsche einst meinte, dass sie die letzte Tugend Intellektueller wäre, die ihnen heute noch geblieben sei. Durch den stets gewahrten Respekt vor dem künstlerischen Werk wird die Praxis des Schreibens, die Said Manafi in seiner Buch praktiziert, selbst Zeugnis jener „Humanität“, die Kiarostamis Filmwerk  ausmachen. Vermutlich rührt diese Sensibilität daher, dass Said Manafi selbst seit Jahren Dokumentarfilme macht und Drehbücher schreibt.

Über die Werkanalyse hinaus gewährt uns die Arbeit aber auch einen nachhaltigen Einblick in den historischen Kontext, dem die Filmschaffenden im Iran seit den Anfängen des „iranischen Films“ bis heute ausgesetzt waren und sind. So erfahren wir etwa, dass Ayatollah Chomeini nach dem Sieg der Revolution am 11. Februar 1979 in einer Ansprache verkündete, dass er nichts gegen das Kino an sich hätte, sondern gegen die Unmoral im Kino, was zumindest bedeutete, dass das Kino unter „moralischen Rahmenbedingungen“ weiter bestehen konnte. (S. 16).
Besonders aufschlussreich und hilfreich für das Verstehen der historischen Situation der Filmschaffenden im Iran ist der Überblick über die Iranische Filmgeschichte (S. 16-42), die Said Manafi vorlegt. Auf dem Hintergrund der dargestellten historischen Ereignisse wird die anschließende Biographie und künstlerische Entwicklung von Abbas Kiarostami besonders plastisch. (S. 42-80).
Die Arbeit endet mit einer Vorstellung der außerfilmischen Tätigkeiten von Kiarostami als Dichter, Fotograph, Maler, Installationskünstler, Interpret von Hafis und Opernregisseur. (S. 243-263).
Der Schlussbetrachtung…folgen ausführliche Literatur- und Tabellenverzeichnisse. Im Anhang finden wir eine vollständige Filmliste, Filmographie, Auflistung der Preise und eine Zeittafel.

Aufgrund des hohen kulturwissenschaftlichen Werts der Arbeit sowie ihrer inhaltlichen, methodischen und stilistischen Qualität beurteile ich sie mit der „Note Sehr Gut“. 

Arno Böhler

 

Vorwort

Univ. Prof. Dr. Manfred Wagner


Said Manafi, selbst Regisseur, Kameramann und verantwortlich für die Gestaltung von zahlreichen  Dokumentationen, hat sich die durchaus schwierige Aufgabe gestellt, eine Monografie über den Regisseur Abbas Kiarostami, dessen Kino der Poesie und Modernität in den 1990er Jahren Weltgeltung erlangte, zu verfassen. Schwierig ist die Aufgabe vor allem deswegen, weil Kiarostami es schaffen musste, entgegen dem iranischen System, das die Volkssouveränität durch die Souveränität Gottes ersetzte und damit Freiheit, Individualität im Denken und Handeln äußerst eingeschränkt ist, die herrschenden Kräfte zu unterlaufen, wollte er nur einen Teil seines intellektuellen Anspruchs tatsächlich umsetzen.

Said Manafi bettet dieses Vorhaben in eine präzise Geschichte des iranischen Filmschaffens ein, und macht die Entwicklungen, aber auch die Widersprüche sowie die Rolle der Exiliranischen Rezeption klar.

Manafi versuchte den Stellenwert seines Objektes zu beschreiben, indem er die gesamten Filmwerke Kiarostamis untersuchte, sich wohl auch auf Einschätzung anderer stützte, aber vor allem seine eigene Analysefähigkeit unter Beweis stellte. Kiarostamis „Intensivierung der Realität“ und die Beschreibungen Manafis geben somit auch eine spannende Einsicht in die iranische Alltagskultur und deren komplexe Inhalte. Obwohl Kiarostami oberflächlich keine äußeren Zeichen des Widerstands gegen das Regime vorzeigte, verstand die Gesellschaft deutlich, was er meinte. Dies gab der regimetreue iranische Journalist Babak Ismaeili immer wieder öffentlich zu Protokoll.

Herr Manafi versteht natürlich besser als viele andere, was die immanente Filmsprache bedeutet: das Erfundene wirkt bei Kiarostamis Kino wie die Wirklichkeit und die Wirklichkeit ist nicht unbedingt wahr, aber die allergrößte Priorität hat die Authentizität. Dergleichen nimmt er das Zeitproblem als „psychologische Zeit“ mit verschiedenen Geschwindigkeiten und unterschiedlichem Rhythmus wahr, wenn seine Protagonisten aus unterschiedlichen Gebieten des Iran kommen.

Said Manafis Arbeit ist insofern optimal gelungen, dass sie auch für Nichtspezialisten verständlich ist. Wahrscheinlich resultiert dies aus seiner eigenen Arbeit und seiner eigenen Begabung als Dokumentator, weil Dokumentation ohne Rücksicht auf Verständlichkeit ihren Zweck verfehlt. In diesem Bereich geht Said Manafi über das Objekt seiner Forschung hinaus, weil es ganz im Gegensatz zu Kiarostami in der Arbeit keinen Abschnitt gibt, der sich dem Verständnis entzöge.

Eine Besonderheit stellen auch Abbas Kiarostamis außerfilmische Tätigkeiten dar. Herr Manafi dokumentiert die Motivation für diese, sie selbst und ihre Rezeption völlig emanzipiert gegenüber der filmischen Arbeit und lässt niemals eine Wertabschätzung gegenüber der Filmarbeit zu.

Auch wenn Leben und Werk Abbas Kiarostamis noch nicht abgeschlossen sind (weswegen Herr Manafi wahrscheinlich irgendwann noch einen Zusatz machen wird müssen), liegen die Leistungen des iranischen Künstlers nun in einem Buch aufgeschlagen vor. Besseres hätte dem Künstler, zumindest wissenschaftlich gesehen, nicht passieren können.

Univ. Prof. Dr. Manfred Wagner

Kultur und Geistesgeschichte - Universität für angewandte Kunst Wien